Regenbogenempfang
Gedanken zur Zeit

Regenbogenempfang der GRÜNEN Wesermarsch

Was Politik für das queere Leben im ländlichen Raum tun kann

Am 05.06.2019 fand in der Kulturmühle in Berne der erste Regenbogenempfang statt. Ich hatte die Ehre und das große Vergnügen als Mitbegründer von ‚QUEERströmung‘ und GRÜNER Politiker dort als Redner eingeladen gewesen zu sein.

Erster Regenbogenempfang in der Wesermarsch | Foto: Georg Berner-Waindok

Gut 30 Menschen besuchten den Empfang in der historischen Kulturmühle in Berne. Liebevoll dekoriert und bestens mit Schnittchen und Getränken versorgt waren Politiker*innen angereist um mit den Anwesenden zum Thema „Queer auf dem Lande“ zu diskutieren.

Dieter Kohlmann (CDU) stellv. Landrat Wesermarsch

Die Begrüßungsrede hielt der stellv. Landrat der Wesermarsch, Dieter Kohlmann (CDU), der in seiner Rede auf die gesellschaftliche Entwicklung und damit verbundenem neuen Rollenverhältnis hin wies und deutlich machte, dass positive gesellschaftliche Weiterentwicklung nur im Frieden statt finden könne und wie wichtig das Projekt Europa dazu sei.

 

Ulla Bernhold, Gleichstellungsbeauftragte, Wesermarsch

Die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Wesermarsch, Ulla Bernhold wies auf die vielen Beratungs- und Unterstützungsformate hin, die es in der Region NordWest gäbe und wie wichtig dieses Engagement sei. Besonders wies sie auch auf den anstehenden CSD in Oldenburg hin, der immerhin der größte im NordWesten sei und allein im vergangenen Jahr 11.000 Teilnehmer*innen zählte. Eine besondere Aufmerksamkeit schenkte Bernhold den lesbischen Frauen, die immer noch zu wenig sichtbar seien und oft auch in der medialen Berichterstattung zu wenig Aufmerksamkeit bekämen.

Julia Willie-Hamburg (MdL GRÜNE)

Aus dem Niedersächsischen Landtag war Julia Willie Hamburg angereist, die in der GRÜNEN Landtagsfraktion für queere Themen zuständig ist. Sie zeichnete das Bild der vielfältigen Angeboten, die unterstützt von der Landesregierung in den vergangenen Jahren erfolgreich aufgesetzt wurden und freute sich sehr auf die Diskussion mit den Anwesenden.

Schliesslich durfte ich meine Rede halten. Ich hatte mich entschlossen eine sehr persönliche Geschichte zu erzählen, die einerseits die geschichtliche Entwicklung der Lebensumstände der LSBTIQ Community der vergangenen gut 30 Jahren aufzeigen, aber auch den Ausblick auf das Anstehende zeigen sollte.

Der Empfang war überaus gelungen und mit Herzblut organisiert. Stellvertretend für alle, richte ich hier meinen Dank an Marco Schellstede und Christina-Johanne Schröder.

Meine Rede hier im Wortlaut

Ulf Berner | Foto: Georg Berner-Waindok

ZitatLiebe Freundinnen und Freunde,

Sehr geehrte Damen und Herren,

Zunächst einmal ein großes Danke an den GRÜNEN Kreisverband Wesermarsch für die Einladung und hier heute dabei zu dürfen. Im Aufruf zu dieser Veranstaltung heißt es: wie Kommunalpolitik im ländlichen Raum die Interessen der „Community“ besser vertreten kann“.

Um das aus meiner Sicht zu erklären, muss ich ein wenig ausholen.

Seit den 90ern bin ich Queer-Aktivist und die meiste Zeit war ich dies ohne Parteibindung. Aktivist wird man aber nicht einfach so, oft gehört ein erlebter eigener Leidensdruck dazu. Ich bin in Wilhelmshaven aufgewachsen und hatte mit „Schwul“ nichts am Hut – Die Stadt ist ja auch nicht gerade als das ‚San Francisco Deutschlands‘ bekannt – was ein Coming Out bis heute nicht gerade einfach macht. Erst als ich zum Studium nach Osnabrück kam und dort über die Theaterszene mit dem Thema Schwul konfrontiert wurde, machte es klick. Und ich hatte Glück dort Menschen gehabt zu haben, die mich qua si an die Hand nahmen und meinen Comming-Out Prozess begleiteten. Dies alles fand Ende der 80er Jahre statt – Toleranz gegenüber vor allem Schwulen, wurde vieler orten noch sehr klein geschrieben. „Tuntenklatschen“ war in einigen Kreisen Volkssport und Hilfe von braven Bürgern eher selten.

Und dann war da noch dieses AIDS, damals auch gerne „Schwulenseuche“ genannt.

Diese Krankheit stigmatisierte die gesamte Community. Eifrige konservative Politiker, wie die bayrischen CSU Politiker Peter Gauweiler und Horst Seehofer wollten sogar KZ ähnliche Lager errichten lassen um alle Infizierten zu internieren. Ich zog 1990 nach Hannover, traf meine erste große Liebe Andreas. Andreas war im Vollbild AIDS und ich erlebte hautnah das elende Sterben eines geliebten Menschen, aber auch die mannigfaltige Diskriminierung auf der Straße, im Krankenhaus, bei den Behörden und sogar in der eigenen Community. Weil ich jetzt in der Szene arbeitete, hatte ich schnell einen großen Kreis guter Bekannter und Freunde – in der Zeit bis 1997 starb aber mindestens die Hälfte davon an AIDS, an den Nebenwirkungen der ersten Medikamente oder auch durch Selbstmord, um das dahinsiechen zu umgehen. All dieses Erleben machte mich zu einem Aktivisten. Ich engagierte mich in der AIDS Hilfe, bei ACTUP und bei CSD‘s .

1991 kam ich mit Georg zusammen – heute fast 30 Jahre später, darf ich sagen „Mein Mann“.

Auch die Ehe für Alle war ein sehr langer Weg.

    • Von der Aktion „Sturm aufs Standesamt“ im August 1992,
    • der Klage vor dem Verfassungsgericht, die wir vertreten durch Maria Sabine Augstein gemeinsam mit Hella von Sinnen und Conny Scheel führten.
    • Über die „Eingetragene Lebenspartnerschaft“
    • bis zur Heirat gingen drei Jahrzehnte ins Land.

Viele Menschen haben das durch ihr Engagement überhaupt erst möglich gemacht. Es waren seit ihrer Gründung die GRÜNEN, allen voran Volker Beck, aber auch Organisationen, wie der LSVD, die mit langem Atem und viel Einsatz letztendlich die kleinen und großen Erfolge für die LSBTIQ-Communitiy erarbeitet haben.

Und da sind wir wieder bei dem Eingangsstatement: wie Kommunalpolitik im ländlichen Raum die Interessen der „Community“ besser vertreten kann“.

Es braucht natürlich Parteien, die Gendergerechtigkeit qua si in ihrer DNA haben – Aber und das ist genau so wichtig, wir brauchen Menschen aus der Communitiy in den Parteien,
– die das Thema nach innen wie nach außen vertreten,
– die auch in Kommunalparlamente einziehen und für eine hohe Sichtbarkeit sorgen
Schlussendlich braucht es aber die LSBTIQ Community selbst. Wenn diese nicht hinter den Aktivist*innen und Politiker*innen steht, mit ihnen in den Austausch geht, ihre Veranstaltungen besucht – dann wird es schwer. Es gibt beispielsweise die Idee eine regionale Arbeitsgemeinschaft QueerGRÜN zunächst für den Raum Weser-Ems-Nord zu gründen. Hier sollen regionale Probleme besprochen, Parteianträge formuliert und Aktionen durchgeführt werden. Diese Idee lebt aber von Beteiligung.

Wir haben eine Zeit lang geglaubt, es wäre nahezu alles in Sachen Gleichberechtigung und Toleranz erreicht und wir könnten uns hinlegen. Dies war und ist ein Trugschluss.

Das Erstarken der ultra-konservativen, der rechtspopulistischen und der rechtsradikalen Kräfte in Deutschland, in Europa , ja auf der ganzen Welt, ist eine konkrete Gefahr für die Demokratie, für Menschenrechte und damit auch für die LSBTIQ Community.  Die Anzahl politisch motivierter Übergriffe von Rechts, auch gegen Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Inter-Menschen, nehmen dramatisch zu.
Wir brauchen im ländlichen Raum Kontaktstellen, an die sich Opfer wenden können, natürlich nachdem sie die Polizei eingeschaltet haben.
Wir brauchen an einigen Orten tatsächlich wieder das ‚organisierte Ausgehen‘ – damit einzelne nicht Opfer werden.
Wir brauchen aber auch den politischen Rahmen, der von gendergerechten Lehrplänen, über Schulsozialarbeit bis hin zur Kinder- und Jugendarbeit reicht.

Und was ist eigentlich mit den alten Queers in unserer Gesellschaft?

Wir müssen Pflegekräfte im Umgang mit älteren queer lebenden Menschen schulen, Wohn und Pflegeeinrichtungen müssen das Thema Sexualität enttabuisieren. Pflege muss Rücksicht auf die geschlechtliche und sexuelle Identität der zu pflegenden nehmen. Sicher bevorzugt eine Lesbe doch eine Pflegerin und ein Schwuler einen Pfleger und dies nicht um sich zu verlieben !  Hier besteht politisch, wie auch gesellschaftlich Diskussions- und Handlungsbedarf.

Die Interessen einer Community zu vertreten, setzt voraus, dass es eine gibt.

Hört sich doof an? Ist aber so!

Wir haben in Wilhelmshaven über Jahre versucht queere Veranstaltungen anzubieten. Auf der letzten großen Party im Pumpwerk waren ganze 49 Menschen, bei der Queernight im Rahmen der Veranstaltungsreihe ‚SuedBar‘ im letzten Sommer, kam genau 1 Gast. Gaststätten gibt es in Wilhelmshaven gar keine mehr, in Oldenburg klagen sie massiv über Besucherschwund, selbst Hannover ist nur noch ein schwaches Abbild dessen, was dort in den 90ern los war. Mag sein, dass die Formate nicht zeitgemäß sind, mag sein dass es immer an den Veranstaltungstagen regnete, was gutes im Fernsehen lief oder der Chat mit dem Typ auf „gayromeo“ oder der Frau auf „Lesarion“ sooo toll war.Wenn ich aber Teil einer Community sein möchte, wenn ich erwarte, dass meine Rechte adäquart vertreten werden, dann muss ich mich auch selbst bewegen.

Politik kann Ziele definieren, Rahmen setzen und Angebote schaffen – nicht mehr und nicht weniger. Nur Politik, queere Organisationen und die Community gemeinsam, können das Erreichte bewahren und das noch nicht Erreichte wirksam fordern.

    • Ohne die Aktivist*innen von ActUp und den Aids-Hilfen wäre in den 90ern die Stigmatisierung der Schwulen und der Leidensweg der HIV-Positiven in diesem Land sicher deutlich länger und noch brutaler gewesen.
    • Ohne die Aktivist*innen die seit den 90ern für die rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften kämpften, würde es die „Ehe für Alle“ sicher heute nicht geben.
    • Ohne die zivilgesellschaftliche und politische Einmischung der GRÜNEN und linken Kräfte, wäre der §175, der erst 1994 gestrichen wurde, vielleicht heute noch da.

Dieser Regenbogenempfang heute, ist ein wichtiges Signal hinein in den ländlichen Raum. – Es ist ein Baustein für das sichtbar werden und bleiben von gelebter Vielfalt in dieser Region.

In 10 Tagen ist CSD in Oldenburg – Geht alle hin! Lasst uns hier in der Region von Norddeich bis Nordenham gemeinsam an den Fragen des queeren Alltags arbeiten aber auch gemeinsam feiern. An vielen Orten in der Region gibt es schon gute Angebote, die aber auch unsere Unterstützung benötigen.

Die Zeit war lange nicht reifer, es anzupacken

Vielen Dank

Das schreibt die Presse

Weser-Kurier_2019-06-07_Regenbogenempfang-Wesermarsch

NWZ_2019-06-08_Regenbogenempfang_Berner

 

 

Ulf Berner ist Kaufmann, Journalist und Kommunalpolitiker Seit 2021 Ratsherr im Stadtrat Wilhelmshaven